Gut, dass man nicht weiss, was kommt
Autori
Viac o knihe
Auszug aus den Erinnerungen: „Eines Tages Mitte Oktober wurde ich in die Lagerküche geschickt, um beim Kartoffelschälen zu helfen. Kaum hatte ich mich an die Arbeit gemacht, kam jemand und rief, daß auf dem nahegelegenen Platz eine Gruppe von Jungens stehe und sich zur Abfahrt aus dem Lager bereitmache. Im selben Augenblick lief ich – ohne nachzudenken – hinaus und stellte mich dazu. Irgendein SS-Mann war dabei, die fähigen „Anwärter“ auszuwählen. Als jedoch die Reihe an mich kam, wies er mit der Hand in Richtung der kleineren Gruppe, die aussortiert worden war. Und wieder entschied ich mich blitzschnell und lief hinter seinem Rücken unbemerkt auf die gegenüberliegende Seite… Die ausgewählten Burschen, wir waren etwa fünfzehn oder zwanzig Personen, wurden zum Anschlußgleis geführt, wo bereits ein Zug bereit stand. Alles geschah wie üblich mit solcher Geschwindigkeit, daß mir mein Freund „Rocek“ von all meinen Sachen nur ein Stückchen Brot bringen konnte – ich habe ihn damals zum letzten Male lebend gesehen. Aber habe ich durch meine geistesgegenwärtige Tat mein Leben gerettet? Habe ich richtig gehandelt? Darüber denke ich oft nach. Die Antwort ist, so scheint es, eindeutig: ich bin ja schließlich am Leben geblieben. Ich habe jedoch in einer katastrophalen Verfassung überlebt, während diejenigen, die in Birkenau blieben, das Kriegsende in einer relativ zufriedenstellenden Verfassung erlebten – aber eben nur die Hälfte von ihnen. In welcher Hälfte hätte ich mich wohl befunden? Der Mensch weiß nämlich in Wirklichkeit nie, was ihn erwartet. (Hätte ich gewußt, was mich erwartet, wäre ich nicht auf die andere Seite gelaufen!) Und deshalb kann man sich niemals sicher sein, ob die Entscheidung, die man trifft, – egal, um was es geht – eine richtige und weise Entscheidung ist. “ Toman Brod wurde 1929 in Prag geboren. Während der Besatzung der Tschechoslowakei und des Zweiten Weltkriegs war er drei Jahre lang in den Konzentrationslagern Theresienstadt, Auschwitz und Groß-Rosen inhaftiert. Nach dem Krieg und der Beendigung des Studiums war er als Historiker tätig und widmet sich bis heute historischen Studien. Er beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der nationalsozialistischen Politik und dem tschechoslowakischen Widerstand. Nach anfänglichem Anschluß an die Kommunisten wandelte er seine Auffassung und unterzeichnete die Charta 77. Sein größtes Werk in den vergangenen Jahren war seine Studie über den tschechoslowakischen Weg in die sowjetische Abhängigkeit in den Jahren 1939-1948, die im Jahr 2002 vom Verlag Academia unter dem tschechischen Titel „Der Schicksalhafte Irrtum des Edvard Beneš“ veröffentlicht wurde.