Das krumme Holz der Humanität

Isaiah Berlin, einer der großen Gelehrten in unserem Jahrundert, hat ein neues Buch vorgelegt: The Crooked Timber of Humanity (Das krumme Holz der Humanität). Der Titel spielt auf einen Satz von Kant an: „Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden.“ Dieser Satz enthält ein Programm, das für die Werke Berlins von Anbeginn charakteristisch war und das ihn, den wohl bedeutendsten Ideenhistoriker der Gegenwart, auch zu einem hervorragenden Schriftsteller gemacht hat: Unabhängigkeit des Denkens aus Einsicht in ihre Bedrohtheit, Humanität nicht als Parole, sondern als Bewußtsein ihrer Gefährdung. Sein jüngstes Buch bezeugt und beweist dies aufs eindrücklichste. Es versammelt acht Studien zur Ideengeschichte, in denen (von Vico bis zu Joseph de Maistre, von der Literatur der Romantik bis zum Wiederaufstieg des Nationalismus) die folgenreichen geistigen Bewegungen der letzten zweihundert Jahre analysiert werden. Berlin beschwört nicht die Kultur Europas, er verkörpert sie - er schreibt und argumentiert aus ihrem Geiste, in genauer Kenntnis ihre Leistungen und ihrer Widersprüche. Er ist einer ihrer letzten unkorumpierbaren intellektuellen Anwälte. „Isaiah Berlin werden künftige Generationen als einen der letzten Repräsentanten des europäischen Geistes erkennen. Seinesgleichen wird es bald nicht mehr geben.“ ( Le Monde)