Erinnerungskulturen im Cyberspace
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Viac o knihe
Vorwort Geschichtswissenschaft handelt notwendigerweise immer von Vergangenem. Das gilt selbst dann, wenn sie, wie dies für die Teildisziplin Zeitgeschichte charakteristisch ist, bis an die Gegenwart heranreicht und ihre Fragestellungen auch aus dieser Gegenwart bezieht. Arbeit mit und an der Vergangenheit bedingt, dass Historikerinnen und Historiker mit den Kommunikationstechniken früherer Zeiten vertraut sein müssen. Da geht es um das Entschlüsseln von Botschaften in Formen, die uns heute nicht mehr geläufig sind. Gleichzeitig aber sind die zeitgenössischen Techniken anzuwenden, um die Resultate zu kommunizieren und neue Möglichkeiten der Bewältigung von Masseninformationen in Speicherung und Analyse nützen zu können. Geschichtswissenschaft ist in ihren Fragestellungen wie jedes andere kultur-, geistes- oder sozialwissenschaftliche Fach Moden und Trends unterworfen. Gerade die Zeitgeschichte spürt dies besonders stark. Unter den Themen, die in den letzten Jahren dominant waren, nimmt dabei die Frage der Erinnerungskultur einen wichtigen Platz ein. Die Frage des Gedächtnisses, der individuellen, der kollektiven, der kulturellen Form, mit Erinnerung umzugehen, hat die theoretische Diskussion dominiert. Dabei kam dem Begriff „Gedächtnisort" zentrale Bedeutung zu, der für die Historikerinnen und Historiker in gewisser Weise ein in Zeit und Raum fassbarer, haptisch erfahrbarer Ort gewesen ist. Nun stellt plötzlich eine neue Generation eine für die Zunft der Historikerinnen und Historiker ungewohnte Verknüpfung her. Geleitet von der Beobachtung, dass sich die dynamischsten Diskussionen im Fach nicht mehr in Publikationen, sondern im Internet abspielen, das zur Plattform vor allem der jüngeren Kolleginnen und Kollegen geworden ist, versucht Wolfram Dornik, das Internet auch als Gedächtnisort zu definieren. Er hat dabei bis zu einem bestimmten Stichtag alle jene Darstellungen im Netz erfasst, die sich in Österreich mit der Geschichte des Nationalsozialismus beschäftigen. Tatsächlich kann dabei nur mehr ein gradueller Unterschied zu den Publikationen in Papierform festgestellt werden. Mit einigem Recht ist es daher möglich, auch bei diesen Internetseiten von (temporären) Gedächtnisorten zu sprechen, in denen sich in demokratischerer Form als bei den ökonomisch, politisch und fachspezifisch stark reglementierten Zugängen zur Buchproduktion ein breiteres Spektrum darstellen kann. Wolfram Dornik hat sowohl eine Momentaufnahme des Gesamtbildes der Thematik im Netz im Jahr 2003 versucht als auch eine inhaltliche Analyse ausgewählter Seiten mitgeliefert. Diesen Analysen mag man folgen oder nicht, sie machen aber die verschiedenen Ebenen deutlich und dokumentieren auch die Bandbreite der vertretenen Meinungen. Es ist fast ein Widerspruch in sich, dass der Text von Wolfram Dornik nun in gedruckter Form vorgelegt wird. Als Historiker begrüße ich das aber sehr, da damit auch für kommende Generationen exemplarisch dokumentiert wird, wie man am Beginn des 21. Jahrhunderts nicht nur inhaltlich die Frage des Nationalsozialismus in Österreich diskutiert, sondern auch, wie man sich technisch der Darstellung gewidmet hat. In diesem Sinn ist die vorliegende Arbeit ein spannendes Zeitdokument, dem eine rasche Verbreitung zu wünschen ist. Helmut Konrad Graz, Jänner 2004