Die Erbschaft des Herrn de Leon

Den wenigen Freunden sagt sie, dass sie sich in ihrer Ehe wohlfühlt, doch auf ihren langen Konzertreisen ohne ihren Mann vermisst sie niemanden. Wenn Musiker mit ihr feiern wollen, wehrt sie irritiert ab: „Worüber soll ich mit den Leuten reden?“ Wirklich zu Hause und sicher fühlt sich die Pianistin Wanda Wiericke nur in der Musik. Bachs Inventionen und die Stunden konzentrierten Übens am Flügel sind für die scheu wirkende Pianistin das größte Glück. Manchmal hat sie das Gefühl, ihr wunderbarer Klavierlehrer Herr de Leon sitze neben ihr. Er hat ihr Talent erkannt und gefördert, und während ihre Mutter ihm beim Spielen zusieht, ist die bedrohliche Welt draußen - der Krieg, die Nervosität des Vaters, die Besetzung der Niederlande - weit weg. Als die deutschen Besatzer Herrn de Leon abführen, bleiben Wanda nur die Notenbücher mit seinen Randbemerkungen. Nach dem Krieg bricht sie die Schule ab, geht aufs Konservatorium und macht schnell Karriere. Die Männer in ihrem Leben sind ihr nicht wichtig, und als sie heiratet, erkennt ihr Mann bald, dass sie nur die Musik wirklich liebt. Trotz Tourneen, Schallplatten und Ehrungen spürt Wanda, dass etwas in ihrem Leben nicht an der richtigen Stelle sitzt. Irgendetwas hat Herr de Leon mitgenommen oder vergessen zu zeigen - aber was?