Photographie und Wahrnehmung
Autori
Viac o knihe
Der Photographie hat man seit 150 Jahren Realitätsabbildung und Dokumentation zugewiesen, weil man davon ausgegangen ist, daß Auge und Kamera in gleicher Weise funktionieren. Dies widerlegt eine Analyse von Photographie und Wahrnehmung in dieser Arbeit, die deshalb für die Photographie beansprucht, in erster Linie ein Bildmittel zu sein, das eigene Darstellungsqualitäten besitzt. Aus der Gegenüberstellung von menschlicher visueller Wahrnehmung und Kameraaufzeichnung wird der Realitätsgrad der Photographie bestimmt und dabei die physiologischen und psychologischen Untersuchungen berücksichtigt, die in den letzten Jahren Aufschluß über die Bedingungen der menschlichen visuellen Wahrnehmung gegeben haben. Sie lassen uns verstehen, welchen Stellenwert das Sehen innerhalb unserer kognitiven Prozesse einnimmt. Lange Jahre ist die Photographie kunstgeschichtlich aus der Sicht der traditionellen Bildmedien behandelt worden, aber die Bestimmung der Photographie als Bildmittel fordert zunächst eine Abgrenzung zur Malerei heraus. Ein besonderes und komplexes Problem ist die Bewegungswahrnehmung und -darstellung. Kinästhetische Erfahrung und Bewegungswahrnehmung können parallel laufen und die enge Beziehung zwischen Außenwelt- und Selbstwahrnehmung verdeutlichen. Der zweite Teil der Arbeit beschäftigt sich mit ausgewählten Beispielen der photographischen Bewegungsdarstellung im neunzehnten Jahrhundert. Die Momentaufnahmen, die Sequenzen von Eadweard Muybridge, die Chronophotographien von Etienne Jules Marey und die Geschoßaufnahmen von Ernst Mach werden unter dem Aspekt ihrer anschaulichen Kennzeichen von Bewegung analysiert. Sie haben das Bildpotential der Photographie auf ganz unterschiedliche, aber entscheidende Weise erweitert und mit ihren Methoden spezifisch photographische Merkmale der Bewegungsdarstellung realisiert, die der autonomen Bilddarstellung der Photographie den Weg geöffnet und sie aus der Einengung der »Realitätsabbildung« befreit haben.