Bullshit nights : die Geschichte mit meinem Vater
Autori
Viac o knihe
Schon eine Erfahrung der besonderen Art, nach Jahren seinen Vater in dem Obdachlosenheim wiederzusehen, in dem man selbst als Sozialarbeiter tätig ist. Autoverkäufer, Möchtegern-Literat, Knastbruder, Penner --, im Nebenberuf Alkoholiker und Aufschneider. So lautet die biografische Schussfahrt, die Nicks Vater bewältigt hatte. Die Mutter hatte mit ihren beiden Söhnen schon früh das Weite gesucht, in der Folge hatte Nick die Bostoner Bullshit Nights von ganz unten kennen gelernt. Den Vater hatte er nur selten gesehen, einige hochtrabende, distanzierte Briefe zeugten davon, wie sehr dieser seine schäbige Lebenslüge hegte. Nick tat, was sein Vater nie verwirklicht hatte: Er schrieb sich von ihm weg. Und dadurch zu ihm hin. Es entstand das Dokument einer Hassliebe. In den USA scheint derzeit eine regelrechte literarische Aufarbeitungswelle von Problemkindheiten zu grassieren. Doch anders als bei Augusten Burroughs ( Krass! und Trocken! ), dessen düsteres Elternschicksal als Folie für eine sarkastische Nummernrevue dient, trägt Nick Flynn einen verzweifelten inneren Kampf aus. Der Sozialarbeiter und Fachmann für Gestrauchelte, der dem eigenen Vater nicht helfen kann und will, wird selbst zur traurigen Figur. Erschütternd die Szene, in der er den Vater vom gut beheizten Loft aus auf der Straße einsam einem unbekannten Schicksal entgegentrotten sieht, ohne ihn einzuladen. Nick kennt die Anlagen, die er geerbt hat, ist selbst hoch gefährdet. Zu groß daher die Angst, in den gleichen Schicksalsstrudel gezogen zu werden. Eine interessante Arbeit, wenn man es als Handbuch für ungenügendes und fehlerhaftes menschliches Verhalten betrachten will, mäkelte ein amerikanischer Amazon-Leser. Ein Resümee, das genau aus jenen menschlichen Kälteregionen entstammt, gegen die das Buch anzuschreiben versucht. Schließlich ist Nicks Erinnerungswerk auch die bittere Bestandsaufnahme einer Gesellschaft, die die Trennung von den homeless people erfolgreich und gnadenlos vollzogen hat. Nein, hier wird -- in einer Sprachpoesie, wie sie selten geworden ist -- die zutiefst humane Frage nach Verantwortung und Mitgefühl gestellt: Wenn nicht du für deinen Vater verantwortlich bist, wer dann?, so die Erkenntnis des Autors. Wer soll ihn denn vom Boden aufheben, wenn nicht du? Dies die vielleicht grundlegendste Botschaft eines väterlichen Spiegelbildes namens Nick Flynn. --Ravi Unger