Die stumme Wahrheit
Autori
Viac o knihe
AuszugSie blieb noch im Auto sitzen, ein kurzer Platzregen prasselte plötzlich vom Himmel. Ohne Schirm und mit den falschen Schuhen lief sie unter dem Schutz der Bäume die Straße entlang in Richtung Seniorenheim. Die alte Holzbank unter der Trauerweide war jener Platz, auf dem Großmutter immer gewartet hatte. Oft umsonst – viel zu oft. Sie ging an den Türen vorbei, den Flur entlang. Ihre Schuhe machten auf dem Steinboden ein trippelndes, für dieses Haus unpassendes Geräusch. Vor der Türe, durch die sie so oft gegangen war, blieb Anna stehen, nahm das Bild von Großmutter an sich und trat ein. Das Fenster zum Park stand weit offen, es hatte zu regnen aufgehört. Sie zog ihre Schuhe aus und ließ sich in Großmutters Stuhl fallen. Sie dachte an jenen Augenblick, als sie sich zum letzten Mal umarmten. Das Bild drückte sie an ihr Herz und weinte bitterlich. Das Gesicht der Nachmittagssonne zugewandt, erinnerte sie sich zurück an ihre frühe Kindheit, bevor sich der Wohlstand auch über die Weiten des Mühlviertels ausgebreitet hatte und die Menschen durch Maschinen ersetzt wurden. Dort, wo die Wälder des Böhmerwaldes den Himmel küssten, bunte Felder in die Sonne lachten, da kam Großmutter zur Welt. Hinter Obstbäumen versteckt lag ein kleines Dorf, nur ein paar mit Moos bedeckte Dächer. Es tummelten sich Tiere über die Hügel, Kühe, die noch Hörner tragen durften, weideten im Gras. Es herrschte Ruhe in dieser Landschaft und Besonnenheit in den Menschen. ...