Worte aus der Stille
Autori
Viac o knihe
Die Kenner japanischer Haiku mögen mir bitte verzeihen, wenn ich dem Leser kurz meine Meinung über Haiku darlege: Zuerst schauen die Sätze dieser dreizeiligen Kurzgedichte bei flüchtigem Überlesen so aus, als ob sie der gewöhnlichen Alltagssprache entnommen wären. Das sind sie manchmal auch, nur kommen noch verschiedene Attribute hinzu. Zunächst gilt die Regel der Silbenanzahl: In der ersten Zeile sind es fünf, in der zweiten sieben und in der dritten wieder fünf. Durch den geringen Textumfang wird ferner die Aussage sehr eingeschränkt oder positiv ausgedrückt auf das Wesentliche komprimiert. Diese Reduktion bedeutet für den Autor eine intensive Beschäftigung mit dem, was er darstellen will. Es wird gleichsam nur der Kern des Erlebten gezeigt. Im strengen japanischen Haiku geschieht das durch Naturschilderung, in der sich häufig eine Aussage über den Menschen verbirgt. Beim Senryu, einer Sonderform des Haiku, kommen noch Persönlichkeitsbezüge vom Verfasser hinzu, dessen Reflektionen über das Erfahrene zu allgemeingültigen Aussagen führen können. Das Haiku möchte den Leser dazu bringen, sich selbständig mit dem Inhalt weiter zu beschäftigen, ihn auf sich wirken zu lassen und diesen gleichsam in seine eigene Erlebniswelt einzubetten. So sollte man sich für jedes einzelne Gedicht Zeit lassen, wenn man es mit Gewinn lesen will. Zum Abschluß sei dem Verfasser die Bemerkung erlaubt, daß ihn diese Versform der Japaner fasziniert, er aber keineswegs japanische Haiku imitieren will, weil ihm das als Abendländer nur sehr unvollkommen gelänge. Otto Abt