Der Zaun am Ende der Welt

Die meisten von uns denken, wenn vom Ende der Welt die Rede ist, sogleich an ihren Untergang. Aber in diesem Buch geht es um das andere, das fernliegende Weltende, um den Ort oder die Gegend, wo die Welt zu Ende ist. Vom Hörensagen weiß fast jeder, dass die Welt an diesem Ende mit Brettern vernagelt ist. Aber kaum jemand weiß, woher die Vorstellung vom Bretterzaun am Weltende eigentlich stammt, wo sie zum ersten Mal auftaucht und wie es an diesem Zaun und dahinter aussieht. Reinhard Kaiser wollte das herausfinden. Er hat sich den alten Wunsch erfüllt und ist auf dem langen, lockenden Weg zum Ende der Welt gereist. In seinem Buch schildert er, wie es ich unterwegs ergangen ist und was er am Ziel seines Vorstoßes in die entlegensten Regionen der Lügenmärchen und Fernphantasien alles gefunden hat: Nicht nur den Zaun (in einem fast vergessenen Buch eines gewissen Johannes Olorinus), sondern auch ganz andere Weltenden: punktförmige Weltenden zum Beispiel (am Nordpol die herausragende Erdachse), Abgründe, Schreckenslandschaften, in denen Monster durch eine schier undurchdringliche Höllenfinsternis wanken, und idyllische, von lieblichen Winden durchfächelte Gefilde, in denen aus dem Jungbrunnen das Wasser des Lebens sprudelt. Um sein leibliches Wohlbefinden brauchte sich der Weltendereisende dabei keine Sorgen zu machen. Denn in fast regelmäßigen Abständen sind an den Enden der Welt Gasthäuser und Restaurationen anzutreffen. Zu den erstaunlichsten Erkenntnissen, die Kaiser von seiner literarischen Expedition mitgebracht hat, gehört auch die: dass am Ende der Welt, welches einst der Inbegriff von Unwirtlichkeit war, heutzutage die gastlichsten Lokale und Wirtshäuser liegen. Die Behauptung, am Ende der Welt sei ein Zaun errichtet, ist einer unserer Lieblingsirrtümer, eine jener wundervollen Unwahrheiten, die gerade wegen ihr Lügenhaftigkeit vorgebracht werden oder um die Leichtgläubigkeit der Kinder auf die Probe zu stellen. Auch führen die Erwachsenen den Zaun am Ende der Welt manchmal zum Beweis dessen an, dass alles seine Grenzen habe. Sie glauben, hier leiste ihnen diese Barriere wider den Vorwitz gute Dienste. Von den gefährlichsten Abgründen, den schlimmsten Wildnissen und den schönsten Verheißungen soll der Bretterverschlag die neugierigen Kinder fernhalten. Doch in Wirklichkeit lockt er sie nur an die Astlöcher und Ritzen, einen Blick auf die Schrecken und die Wunder dahinter zu ergattern.