Hexenjagd und Aufklärung in Ghana
Autori
Viac o knihe
Die vorliegende Forschungsarbeit untersucht die Möglichkeiten zur Bekämpfung von Hexenjagden heute. Ausgehend vom historischen Verhältnis von Medien und Wissenschaften diskutiert sie die Medienwirkung von okkulten Inhalten ghanaischer Storybooks, Filme und Zeitungen. Ausführlich dokumentiert wird insbesondere ein Gerüchtekomplex, der Ghana 2009 erfasste und okkulte Rituale im Internetbetrug („Sakawa“) vermutete. Gesellschaftliche Konflikte mit der Gerontokratie und rassisierte ökonomische Nord-Süd-Disparitäten werden in Symbolwelten übersetzt. Die medialisierten Bilder werden als dysfunktionale Erklärungsversuche und Projektionen unbewusster Ängste und Bestrafungswünsche verständlich gemacht und so dem Exotismus und Othering entrissen: Sie sind grundsätzlich verwandt mit Ideologemen im Westen. Die Widerlegung einer direkten Medienwirkung von Filmen auf Hexenjagden in Nordghana führt zu einer ausführlichen Untersuchung der Faktoren, unter denen hier Ghettos für Hexenjagdflüchtlinge um Erdschreine herum entstanden sind. Wie in historischen europäischen Hexenjagden und wie in den ghanaischen Medien wird Hexerei auch hier durch Sichtbarmachungen verifiziert. Ordale, Träume und durch Folter erzwungene Geständnisse gehen mit einer eigentümlichen exorzistischen Praxis an Erdschreinen einher, die den Angeklagten ein ambivalentes Asyl im Exil ermöglicht. Den Lebensbedingungen und Verfolgungsgeschichten folgt die Arbeit mit qualitativen Interviews. Das Sichtbarmachen des Unsichtbaren, primär der Traum, reicht für eine Anklage aus. Aufklärung sieht sich in Ghana vor dieselbe Herausforderung gestellt, die sich in der europäischen Geschichte als Auseinandersetzung mit dem Empirismus und seiner Magie des sichtbaren Faktums fortsetzt. Der ethnologische Relativismus Evans-Pritchards und die Modernismuskritik im Gefolge von Comaroff/Comaroff wird daher mit Adorno/Horkheimer einer Relektüre unterzogen und in den Kontext der Dialektik der Aufklärung gestellt, um Aufklärung als differenzierende und selbstreflexive Praxis zu denken. Von besonderem Interesse ist die ausführliche Diskussion von fehlschlagender Aufklärung durch Medienkampagnen gegen die Asyle für Hexenjagdflüchtlinge. Wirksamer, aber aufwändiger als kosmetische, staatliche Kampagnen blieb bislang die Praxis der Rücksiedelung von Angeklagten durch wenige, auf lokale Diskurse und Diplomatie spezialisierte NGOs. Diese ethnologische Aufklärungsforschung liefert Einblicke in die Möglichkeit einer kritischen Analyse afrikanischer Hexereivorstellungen und einer reflexiven Intervention gegen Hexenjagden. In ihrer auf psychodynamische Ambivalenzen verweisenden Kritik an materialistischen Ableitungen und ihrer Offenheit für idiosynkratische, kontingente Anklageverläufe fördert sie das Verständnis von Hexenjagden als universales und lokalspezifisches Problem.