Tempel der Körper
Autori
Viac o knihe
Wozu stoßen wir eine Eisenkugel in die Gegend, und das möglichst weit? Wieso flitzen wir, wie von Panik getrieben, 100, 200, 1.000 oder 5.000 Meter auf einer hergerichteten Bahn im Oval herum und ereifern uns über den, der zuerst ankommt, obwohl wir auch den Letzten feiern könnten? Was ist das Segenbringende in der weltweiten Pilgerkultur bei den Marathonläufern, wo sich noch so viele den Knorpel, die Bänder und die Gelenke zermürben? Was ist das alles für eine lebensbedrohliche Hingabe und Opferbereitschaft? Peter Kühnst führt in seiner selbsternannten 'Ketzerschrift' zum Kult des Leistungssports den leistungsorientierten Sport – insbesondere den Olympismus – mit religiösen Elementen des Christentums zusammen und zeigt ihre verblüffend vielfältigen Gemeinsamkeiten auf. Die Architekturen des Massensports, Stadien und Plätze, weisen einen sakralen Charakter und den Sinn und die Form eines Kultplatzes, einer Opferstätte auf, in denen sich gleich wie in spirituellen Architekturen nach dem Außergewöhnlichen gesehnt wird. Die siegreichen Sportler des Olympismus werden wie Aposteln und Heroen mystifiziert und gefeiert, die Kaste der Sportfunktionäre hingegen wird ähnlich wie die Hoheiten der Katholischen Kirche verehrt. In der Umgebung sakraler Architektur dieses Sports existiert ein Zauber, bei dem aus dem traditionellen Glaube ein Staunen geworden ist, aus dem Gebet und Bewunderung – beides, das Staunen und die Bewunderung sind der Untergrund des Religiösen. Die Kehrseite des (Leistungs-)Sports hingegen, die sich nicht nur in dopinggeschädigten Athleten oder überdimensionalen, ungenutzen Sporttempeln, wie z. B. nach der WM in Südafrika, zeigt, wird weitgehend verschwiegen, oder schlicht ausgeblendet. In diesem reich bebilderten Band klingt auch die Botschaft an, dass es dringend geboten ist, den Leistungssport neu zu denken. (Die Sportfanatiker unter den Lesern können ja zur Lektüre Handschuhe anziehen.) 'Wir brauchen dringend ein paar Verrückte. Guckt euch an, wo uns die Normalen hingebracht haben.' George Bernhard Shaw