Lebendiges Erleben der Geometrie am Beispiel des Dreiecks
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Viac o knihe
"Was ist ein Dreieck? Was ist das Charakteristische, das Wesen eines Dreiecks? Was ist das Besondere, das Entscheidende der Zahl Drei? Was ist überhaupt eine Zahl? Das sind ungewöhnliche Fragen, die nicht ganz leicht zu beantworten sind. Mit den anschaulichen, geometrischen Formen wie z. B. einem Dreieck tun wir uns vermutlich leichter als mit dem mehr abstrakten Begriff einer Zahl. Natürlich wissen wir, was ein Dreieck ist und was die Zahl Drei bedeutet. Wir sehen ja täglich Dreiecke und andere geometrische Formen und wir gehen mit Zahlen um, ohne dass wir uns groß darüber Gedanken machen. Man könnte sagen, ihre praktische, äußere Seite, ihre Gebrauchsseite ist uns wohlbekannt. Die mathematische Wissenschaft hilft uns selbstverständlich weiter. In der Mathematik werden die Gesetzmäßigkeiten der Zahlen und geometrischen Objekte sachlich mit wissenschaftlicher Methode untersucht. Insbesondere über Dreiecke gibt es viele Lehrsätze, die bedeutsame Eigenschaften von Dreiecken formulieren. In diesen Eigenschaften und Zusammenhängen zeigt sich vieles vom Wesen der Dreiecke. Weiß man beispielsweise, dass die Summe der Innenwinkel eines Dreiecks (in der Ebene) immer 180 Grad beträgt, so ist das sicherlich ein beachtenswerter Mosaikstein zum Gesamtbild des Dreiecks. Aber gibt die wissenschaftliche Betrachtungsweise schon das vollständige Wesen des Dreiecks? Ist sie nicht auch einseitig? Gerade Schulkinder und Jugendliche tun sich oft schwer mit den nüchternen, abstrakten Formulierungen und der abgekürzten Formelsprache der Mathematik. Sie hat sich sehr weit von der gesprochenen Umgangssprache entfernt, damit sie nicht nur zu 99 Prozent, sondern zu 100 Prozent korrekt ist. Gibt es nicht einen direkteren Zugang, der bedeutsam ist, über die Konstruktionen und Berechnungen hinaus? Wie könnten wir unmittelbar die Qualität einer Dreiecksform erfassen? Wie wirkt ein Dreieck auf einen Betrachter? In welcher Beziehung stehen Dreiecke ganz allgemein zum Menschen? In diesen Fragen scheint mir ein Mangel der gängigen wissenschaftlichen Methodik zu Tage zu treten, der nach einer Ergänzung ruft: - Nach einer Herangehensweise, die den Menschen, der sich mit dem Dreieck auseinandersetzt, der mit all seinen inneren Anteilen dem Dreieck erlebend und empfindend gegenübersteht, mit einschließt und sogar als wichtig erachtet. - Nach einer Herangehensweise, die ästhetische, künstlerische, kreative Betrachtungen fördert. - Nach einer Herangehensweise, die mit einem großen Wunsch zur Wahrheit nach den zentralen Phänomenen sucht. - Nach einer Herangehensweise, - und das ist ganz wichtig – die methodisch ist. Die nicht subjektiv, willkürlich, abergläubisch oder nebulös ist, sondern nachvollziehbar und dialogfähig ist. Mit einer Herangehensweise in dieser Richtung könnten die wissenschaftlichen Ergebnisse sinnvoll erweitert werden. Ich denke, alle Menschen, insbesondere die jungen Menschen, wollen etwas lernen über die Welt und genauso über sich selber. Im Menschen lebt ein Wunsch nach Erkenntnis tiefer Wahrheiten. Dieser Wunsch wird beispielsweise durch einen mathematisch formulierten Lehrsatz über die Winkelsumme im Dreieck nicht befriedigend erfüllt. Darin ist der Mensch zu wenig angesprochen. Wenn es gelingt, eine verbindende Brücke zwischen der Person mit ihrem Entwicklungs- und Erkenntnisbedürfnis auf der einen Seite und dem Thema auf der anderen Seite zu schlagen, so wäre das für Jugendliche wie auch Erwachsene heilsam.