Die aristotelische Katharsis in rezeptionsästhetischer und erkenntnistheoretischer Perspektive
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Im Diskurs über die Dichtkunst begegnete Aristoteles dem strengen Moralismus Platons, auf den Dionysien lediglich eine gereinigte Zweckpoesie zuzulassen, mit einem gemäßigten Realismus durch seine Schrift Πeri ΠoihtikήV („Über die Dichtkunst“), in der er die erste Tragödiendefinition mit der Setzung der άθαρσις als rezeptionsästhetisches Prinzip verfaßte. Die um den Begriff der άθαρσις entstandene Problematik erforderte vor dem Hintergrund ihrer anthropologischen, gesellschaftsbezogenen und kulturpolitischen Bestimmung, die historisch begleitenden kulturpolitischen Prägungen und Philosophiekonzeptionen einzubeziehen, da diese für die Setzung der άθαρσις als Prinzip der Tragödie zugleich als die entscheidenden Wegbereiter zu sehen sind. Im VIII. Buch der Politik kündigt Aristoteles eine άθαρσις-Theorie an. Diese Theorie ist gemäß der Forschung entweder nicht geschrieben, nicht gefunden oder verloren gegangen. Als Folge dessen hat sich bis in unsere heutige Zeit ein spekulativer Umgang mit der Problematik der άθαρσις erhalten. Aufgrund dieser Sachlage widmet sich die vorliegende Forschungsarbeit mit dem Titel „Die aristotelische άθαρσις in rezeptionsästhetischer und erkenntnistheoretischer Perspektive“ einem neuen Lösungsweg, dem rezeptionsästhetische als auch erkenntnistheoretische Fragestellungen zugrunde liegen. Es geht hierbei um Fragestellungen, die gemäß aristotelischer Methodik für den Menschen zweckdienlich als Gewinn zur Erlangung individueller Selbsterkenntnis gelten und im Sinne einer Erhebung zur persona grata zu würdigen sind. Die Frage, ob die Tragödientheorie Aristoteles' mit der Setzung der άθαρσις losgelöst von ihren zeitgeschichtlichen, spannungsreichen kultur- und gesellschaftspolitischen Turbulenzen entstanden wäre, ist zu verneinen. Gerade im Hinblick auf die entwicklungsgeschichtlichen Verhältnisse seiner Zeit (Abkehr vom Mythos, politische Interessenssphären, sophistische Aufklärung) sah sich Aristoteles herausgefordert, über die Dichtkunst - das Massenmedium jener Zeit, ein ordnungsgebendes Prinzip als Individualwert für den kriegsbelasteten Polisbürger, gleichsam als ein Manifest der Humanität zu postulieren. In dieser Hinsicht hat die Arbeit den Anspruch, die aristotelische άθαρσις als Methode individueller Selbsterkenntnis im Kontext der ihr zugrunde liegenden philosophischen Theorie und ihrer gesellschaftspolitischen Relevanz zu erhellen.