Vom "Halbmenschen" zum "Ganzmenschen"
Autori
Viac o knihe
Warum steht am Anfang dieser Untersuchung, die doch eigentlich Arbeit und Liebe in Irmtraud Morgners Salman-Romanen zum Thema hat, ein Kapitel über die Poetik der Autorin? Zum einen fällt natürlich jedem Leser auf, dass Morgners Schreibstil, wenn er nicht gar einzigartig zu nennen ist, so doch mit Sicherheit als aus der Reihe fallend zu bezeichnen ist. Morgners ausgefallene Schreibweise -- ihr Patchwork-Stil, die phantastischen Elemente, ihr ausgeprägter Hang zum Zitieren etc. -- macht es einem nahezu unmöglich, sich mit dem Inhalt ihrer Werke zu beschäftigen, ohne sich zuvor mit ihrem Schreibstil, mit der Form auseinanderzusetzen. Zum anderen gründet sich mein Interesse an Morgners Literaturkonzept nicht nur auf der auffälligen Andersartigkeit ihres Schreibens, sondern vor allem auch auf der schon im Vorwort erwähnten Tatsache, dass Morgners theoretische Äußerungen zum Schreiben und ihre Prosa eng miteinander verwoben sind. Morgner spielt mit verschiedenen Realitätsebenen, hebt Grenzen zwischen fiktivem und „realem“ Raum auf, indem sie, wie ich schon kurz zur Sprache gebracht habe, selbst als Figur in der Trobadora Beatriz auftritt oder indem sich Aussagen in den Romanen mit Interviewexzerpten decken, so dass der aufmerksame Leser/Leserin gar nicht mehr weiß, wie ihm/ihr geschieht. Alle Bereiche scheinen sich derart aufeinander zu beziehen, dass die Frage aufkommt, was Wirklichkeit ist und was Fiktion. Irmtraud Morgner bringt ihre Autorenidentität extrem stark in ihr Schreiben mit ein. Die von ihr problematisierten Themenkomplexe reflektieren in großem Maße Probleme, mit denen sie selbst in ihrem Alltag zu kämpfen hatte.17 Auffällig ist hier zum Beispiel das Auftreten außergewöhnlich vieler schreibender Frauen in Morgners Romanen, so 16 Siehe Amanda (533). 17 Morgner hat selbst behauptet, sie könne nur schreiben, was sie selbst gelebt oder durchgemacht habe (siehe Aussage zur Person 168) 17 dass man, wenn man über arbeitende Frauen spricht, häufig damit schreibende Frauen meint. Im Rahmen eines Projektes über Arbeit und Liebe scheint es aufgrund dieser Vernetzungen unmöglich, Morgners eigene Produktionsverhältnisse und Gedanken zur Poetik außer Acht zu lassen. Die Autorin selbst hat in etlichen Interviews Informationsmaterial bezüglich ihres Literaturkonzepts geliefert und kundgetan, der Stil sei mit dem Menschen,18 d. h. mit dem Literaturproduzenten gleichzusetzen. Da das Geschlecht ein wichtiges Charakteristikum für jeden Menschen ist, liegt es nicht fern, darauf zu schließen, dass Morgners Frausein Einfluss auf ihren Schaffensprozess nahm. In der Tat hat Morgner vielfach darauf hingewiesen, dass der Schreibstil, die literarische Form, eng mit den sozialen Umständen des Autors verknüpft ist