Sprich' nicht mehr von Süßenbach!
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Menschenschicksal im Fluss deutscher Geschichte Es wird Zeit, dass wir dem Schicksal des einfachen Menschen im Fluss der Geschichte Namen und Raum geben. Erwin Sannert, Jahrgang 1934, steht für viele, die als Generation im Wechselbad deutscher Geschichte leben. Geboren und aufgewachsen im Dorf Süßenbach, am Riesengebirge in Niederschlesien, erlebt er eine friedliche Kindheit im schlesischen Dorf, die von Naziherrschaft und Kriegsausbruch bedroht, aber nicht in Frage gestellt wird, bis die Kriegswende über Dorf und Menschen hereinbricht. Die Front verläuft durch die Dörfer, treibt die Menschen um, die nach Kriegsende Soldaten aus den Weiten Russlands ausgeliefert sind, wo SS und deutsche Wehrmacht ihr Vernichtungs- und Kriegshandwerk betrieben hatten. Neue Herren, aus dem Osten nach dem Westen gebrachte Polen, übernehmen den Besitz der Sannerts und anderer Bauern, die als Knechte für die neuen Besitzer arbeiten – und im Dorf weitgehend rechtlos leben. Aber längst ist die Vertreibung der Schlesier beschlossene Sache. Die eine Hälfte des Dorfes Süßenbach landet in Gummersbach im Bergischen Land, die andere Hälfte – darunter auch die Sannerts – finden in Neundorf bei Bernburg in Sachsen-Anhalt eine neue Heimat. Mühsam, zäh und ungebrochen fassen sie Fuß. Erwin Sannert macht seinen 8-Jahre-Schulabschluss, tritt dann eine Maurerlehre an. Auf deutschem Boden entwickeln sich aus den Besatzungszonen der Großmächte zwei Staaten: die BRD der Amerikaner, Engländer, Franzosen und die DDR der Russen. Erwin Sannert sieht sich am 17. Juni in die Ereignisse des Arbeiteraufstandes verwickelt. In der Zeit danach arbeitet er einige Zeit als Maurer in Bohmte im Landkreis Osnabrück, kehrt aber wieder in die DDR zurück, um zu heiraten und eine Familie zu gründen. Er durchläuft verschiedene berufliche Qualifizierungen, wird Ausbildungsleiter. Wie seinen Vater zieht es ihn zurück in die niederschlesische Heimat, die er 1976 – 29 Jahre nach der Vertreibung – wieder aufsucht. Seine Schwester, die seit längerem in Westdeutschland lebt, feiert 1980 Silberhochzeit und Erwin Sannert darf zum Fest ausreisen. Ihre eigene Silberhochzeitsreise machen die Sannerts in den Kaukasus, nach Armenien und Georgien. Die DDR, von wirtschaftlichen Krisen und dem Aufbegehren vieler Bürger geschüttelt, schlittert in ihre Endzeit. Zwei Jahre nach der Wende, im Jahre 1991, zieht das Ehepaar Sannert nach Bad Essen, ins Wittlager Land im Landkreis Osnabrück. Hier feiern sie ihre Goldene Hochzeit und leben hier seit fast zwanzig Jahren, mit Tochter und Enkeln in der Nähe, mit Freunden und Nachbarn, mit ihren Erinnerungen, von denen Erwin Sannert sagt: 'Ich will noch einmal diese Zeit deutlich machen, mit ihren so verschiedenen, ungewöhnlichen und auch nicht immer ungefährlichen Erlebnissen. Meine Kindheit in Schlesien hat mich geprägt, habe ich doch in diesen zwölf Jahren von Idylle bis Kriegsgräuel vieles erfahren, das mir in meinem späteren Leben geholfen hat, in wechselnden Situationen zu bestehen.' Erwin Sannert hat an jedem Ort, an den ihn deutsche Geschichte verschlug, einen neuen Anfang gefunden. In dieser Energie liegt der Treibstoff einer lebendigen Gemeinschaft. Dieses Erleben, seine Kraft gilt es in unserer Zeit zu erzählen und wirksam werden zu lassen.