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Mensch und Zeit

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Rhythmus – vergleichbar einem Fluß – ist die Wiederkehr von Ähnlichem in ähnlichen Abständen, im Unterschied zum Takt – vergleichbar einem Kanal – der die Wiederkehr von Gleichem in gleichen Abständen darstellt. Leben ist ein Ensemble von Rhythmen: Die Jahreszeiten, das Öffnen und Schließen der Pflanzen, die Ankunft und der Wegzug der Vögel. Der Mond nimmt zu und ab, die Sonne geht auf und unter, die Gezeiten haben Ebbe und Flut, der Mensch wacht und schläft, reift und vergeht. Atem und Puls, aber auch Sprechen und Gehen haben Rhythmus. Im Gegensatz zu früheren Auffassungen, die rhythmischen Vorgänge als rein passivreflektorische Reaktionen auf Umwelteinflüsse zu deuten versuchten, zeichnet sich mehr und mehr ab, das Rhythmen aktive Phänomene sein können, die sogar jeder Zelle, ja Zellbestandteilen zu eigen sind. Die sog. „Innere Uhr“ ist neuroanatomisch vor allem oberhalb der Sehnervenkreuzung im Nucleus suprachiasmaticus lokalisiert. Im Sinne der besseren Anpassung unseres Organismus an die wechselnden Bedingungen der Umwelt wirken die einzelnen Funktionen unseres Körpers jedoch nie isoliert, sondern in „vermaschten Regelkreisen“. Mit der Erforschung dieser Zeitmuster beschäftigt sich seit über 50 Jahren die interdisziplinäre Wissenschaft der Chronobiologie. So wurde beispielsweise als Zeichen der Gesundheit der Puls-Atem-Quotient von 4:1 gefunden, d. h. innerhalb eines Atemzuges sollten 4 Pulsschläge erfolgen. Auch Lidschlag und Tränensekretion u. v. m. sind aufeinander abgestimmt (synchronisiert). Die Autoren dieses Buches konnten durch kontrollierte Studien zeigen, dass die verschiedenen Abschnitte des Verdauungstraktes ganz spezifische Kontraktionsfrequenzen aufweisen. Es gelang ihnen international erstmals der Nachweis der sog. Leberlappenrhythmik, d. h. dass die einzelnen Leberlappen tageszeitlich verschiedene Aktivitätsgrade haben. Daraus ergab sich die Modellvorstellung des „Multioszillatorsystems“ der Leber, die auch für andere Organe und den Gesamtorganismus genutzt werden kann. Schmerzforschungen ergaben eine Tages- und Jahreszeitenabhängigkeit der Schmerzwahrnehmung. So führt dieselbe Schmerzuntersuchung morgens, tagsüber, abends oder nachts zu unterschiedlichen Resultaten. Schmerztherapeutisch kommt es schließlich darauf an – ähnlich wie bei einer Schaukel – im richtigen Moment das Richtige zu tun. Chronische Krankheiten (Chronos = Zeit) sind häufig durch gestörte Lebensrhythmen charakterisiert; entsprechend lassen sich oft schon durch die Rhythmisierung der Lebensumstände Beschwerden verbessern. Die Chronobiologie liefert auch „Zeitrezepte“ um beispielsweise Schichtarbeit und Flugreisen besser bewältigen zu können. Den Frühaufstehern („Lerchen“) und Spätaufstehern („Eulen“) ist mit der gleitenden Arbeitszeit geholfen. Was wir als Gesundheit, Wohlbefinden, Glücklichsein bezeichnen, ist im Grunde nichts anderes als eine Harmonie zwischen den Schwingungen unserer „Inneren Uhr“ und all den anderen Rhythmen. Noch nie zuvor haben Menschen ihre „Innere Uhr“ so strapaziert und irritiert wie heute. Eine der verbreitetsten Krankheiten dürfte die „Angina temporis“ sein. Die „Innere Uhr“ ist zwar anpassungsfähig, doch ihr Motto ist nicht „Rund um die Uhr und allzeit bereit“, sondern „jedes zu seiner Zeit“. Jeder Mensch hat zwar dieselbe Zeit im Leben, doch wer dieses Buch gelesen hat, der kann sehr viel mehr daraus machen.

Parametre

ISBN
9783930926152
Vydavateľstvo
Neuromedizin-Verl.

Kategórie

Variant knihy

2002

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