Die Stimme des Waldes
Autori
Viac o knihe
In Cyberspace-Zeiten neigen wir dazu, die Ursprünge des Lebens zu vergessen, die Stimme der Natur und des Waldes nicht mehr zu hören. Von Gärtnereien und Bauernhöfen sind wir meist weit entfernt. Lebensmittel kennen wir nur vom Supermarkt, Strom kommt aus der Steckdose, und leider ist es kein Witz, dass viele Kinder inzwischen meinen, Kühe seien lila. Mauro Corona hat sein Leben in den Bergen des Friaul, im Wald von Erto zugebracht. Dort ist der fünfzigjährige Bildhauer und Künstler aufgewachsen, dort hat er als Holzfäller gearbeitet, dort hat er die Sprache der Bäume erlernt und ist so zu einem überragenden Kenner seines „Rohmaterials“ geworden. Seit seiner Jugend durchstreift Mauro Corona die Wälder seiner Heimat, um mit den Bäumen zu reden. Und sie erzählen ihm von ihrem Leben. Die fünfhundertjährige Weißtanne, die über Wohl und Wehe des Tales wacht, die vom Wind gepeitschte schiefe Lärche auf den alpinen Höhen und in den Ebenen der Olivenbaum, der ihn seinen uralten, geheimen Schmerz erahnen lässt. Sie alle sprechen zu ihm mit dem Wispern ihres Laubes, mit der Biegung ihrer Stämme und Zweige, mit der Farbe und dem Geruch ihres Holzes. Alle haben ihm etwas zu sagen. Er versteht ihre Sprache und verwandelt sie in Figuren, deren Bildhaftigkeit dem Menschen verständlicher ist. So wie Mauro Corona in seiner bildhauerischen Tätigkeit die Gestalt des Holzes für uns vernehmlich macht, greift der Schriftsteller Corona zur Feder, um uns zu zeigen, was das enge Zusammenleben mit dem Wald ihn seit Jahrzehnten lehrt: Dass Menschen und Bäume nicht nur miteinander zu tun haben, sondern sich ähnlicher sind, als wir glauben. Nicht von ungefähr betrachtet die Tiefenpsychologie den Wald als Symbol für unser Unbewusstes. Von daher leuchtet ein, dass jeder Baum seinen eigenen Charakter hat, genau so wie jeder Mensch. Mauro Corona stellt uns hier die Gesellschaft des Waldes vor, wie er sie kennen gelernt hat: die edle Weißtanne, deren Bestreben einzig dem Schutz des Waldes und seiner Bewohner gilt; den hinterhältigen Holunder, der irgendwann im Laufe seines Lebens auf die schiefe Bahn geraten ist und sich von dieser nun nicht mehr abwenden kann; den starken und festen Goldregen, der sein Holz allem leiht, was widerstandsfähig sein muss; den hochmütigen Nussbaum, der seine besondere Position nur dem Zufall verdankt und diese jetzt ausnützt; die Birke, deren tänzerische Geschmeidigkeit sie zur begehrten Schönheit des Waldes macht; und schließlich die Hainbuche, das Alter Ego des Autors, weil nur aus ihrem marmorharten Holz eines der wichtigsten Werkzeuge für die Holzbearbeitung gemacht werden kann: der Hobel. Vor dem Hintergrund dieser Baum-Persönlichkeiten führt uns Mauro Corona durch das ursprüngliche Leben der Menschen seines Heimatortes Erto. Mit zahlreichen Skizzen zeigt er uns, welchen Dingen des täglichen Gebrauchs die Bäume ihren Körper liehen und welches Holz wozu verwendet wurde. So erwecken Coronas Baumbetrachtungen auch ein Stück alter Handwerkskunst zum Leben, die zusammen mit ihren Meistern zu verschwinden droht. Corona spricht mit der Stimme dieser Meister, die ihn zu dem gemacht haben, was er heute ist: ein Mann des Waldes, der die Sprache der Bäume versteht.