Der Sinn und die Sinne
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Viac o knihe
Am Anfang war der Sound. Und dieser Sound war so ungeheuer, daß wir heute noch sein Echo hören. Das konstante Rauschen, das noch von einem postmodernen Ohr, so es nicht durch Dauersoundproduktion ruiniert wurde, selbst am einsamsten Ort in der stillsten Winternacht zu vernehmen ist, erklären Astrophysiker als Nachhall des Urknalls. Kein anderer Begriff der Astrophysik hat in den letzten Jahrzehnten eine so steile Karriere erlebt wie dieses leicht eingängige und mittlerweile inflationäre Wort. Urknall /Big Bang: vor etwa 12 Milliarden Jahren fing „alles“ mit einem ungeheuren Getöse an, das sich erst in Jahrmillionen zu dem formte, was Ästheten gerne als „Sphärenharmonie“ oder „Sphärenmusik“ charakterisieren. Daß das Wort „Big Bang“ so eingängig ist, dürfte auch mit seinem Klang-, Zeit- und Bedeutungszauber zusammenhängen, der es rein naturwissenschaftlichen Sphären entwendet. Big Bang: eine hübsche Alliteration mit dem ersten Konsonanten im Alphabet (BB: Bert Brecht, Brigitte Bardot oder Bazon Brock haben Grund, die Initialen ihres Namens hochzuschätzen). Auf die Anfangsbuchstaben b folgt die hohe phonetische Differenz der Hell-Dunkel-Vokale i/a und ein Ausklang auf dem scharf beziehungsweise weich ge-sprochenen Konsonanten g, so als wollte das Wort „Big Bang“ an sich selbst demonstrieren, daß noch der heißeste Kern all dessen, was sachlich-naturwissenschaftlich beschreibbar ist, einen semantisch-ästhetischen Überschuß aufweist - daß das, was da sinnlich passiert, Sinn freisetzt. All das, was der Fall zu sein begann, all das, was da im Knall war, all das, was da vor etwa 12 Milliarden Jahren (wenn man die Hubble-Konstante als Maß für die Galaxienflucht auf 80 km pro Sekunde ansetzt) als Ab-Fall von der zeitlosen Reinheit des Nichtseins startete, organisierte sich alsbald in binären Schemata. Makro und Mikro, Neutronen und Elektronen, positive und negative Ladungen, Materie und Antimaterie, Sein und Nichts, Atome und Bits, 0/1, i/a, Big Bang - auch wer, wie der Schreiber dieser Zeilen, euphemistisch mit sich selbst umgeht, wenn er gesteht, von dieser Materie wenig zu verstehen und dieses Wenige dann auch „nur“ über zweifelhafte Medien vermittelt zu wissen (Wer war schon beobachtend dabei, als der große Urknall statthatte?), glaubt doch immerhin so viel zu wissen: Ohne binäre Schemata läßt sich kein Programm starten und schon gar nicht rekonstruieren. Auch medienhistorische Übergriffe auf Allerfrühestes können kaum anders als sich an der konstruktivistischen Maxime zu orientieren: draw a distinction. In medienhistorischer Perspektive ist das, was auch astrophysikalische Laien über den Anfang alles Auf- und Anschreibbaren wissen, mit dem binären Schema Sein und Sound rekonstruierbar. Medienhistorisch muß an der Ursprungserzählung, die im entfalteten Medienzeitalter den höchsten Kredit genießt, auffallen, daß das, was da geschieht, offenbar und unüberhörbar mit Noise verbunden ist. Etwas geschieht nicht nur - es geschieht mit Getöse.