Der Vertrauensgrundsatz bei arbeitsteiligem Verhalten
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Viac o knihe
Die Tendenz zu einer immer weiter ausdifferenzierten Arbeitsteilung ist in unserer hochtechnisierten und spezialisierten Gesellschaft ungebrochen: Beispielsweise basiert das hohe Niveau der medizinischen Versorgung regelmäßig auf der Zusammenarbeit von Kliniken und niedergelassenen Ärzten. Gleichwohl birgt das arbeitsteilige Zusammenwirken neue Schadens- und Gefahrenquellen, wenn unbemerkt gebliebene Fehler und Unaufmerksamkeiten anderer Beteiligter erst im eigenen Handeln wirksam werden. Auf der Suche nach Regeln, mit denen sich die individuelle strafrechtliche Verantwortung in einem durch Interaktion geprägtem Geschehen bestimmen läßt, wird vielfach auf den Vertrauensgrundsatz zurückgegriffen. Der Satz, dass grundsätzlich nicht mit regelwidrigem oder unvernünftigem Verhalten Anderer zu rechnen ist, entstammt indes nicht einem durch Arbeitsteilung geprägten Lebensbereich, sondern dem Straßenverkehrsrecht und wird dort auch von der Rechtsprechung angewandt. Die gleichwohl in der Praxis zu verzeichnende und von weiten Teilen der Literatur befürwortete Ausdehnung des Vertrauens grundsatzes auf die arbeitsteilige Welt berücksichtigt nicht hinlänglich die Unterschiede zwischen dem Miteinander der Straßenverkehrsteilnehmer und dem vertrauensvollen Zusammenwirken in einem arbeitsteiligen Prozess. Der Vertrauensgrundsatz erfüllt in beiden Bereichen ganz unterschiedliche Funktionen: Während er im Straßenverkehr zur Rechtfertigung eines an sich - nämlich gemessen am neminem laede - sorgfaltswidrigen Verhaltens gebraucht wird, muss der Sorgfaltsmaßstab bei arbeitsteiligern Verhalten erst mit Hilfe des Vertrauensgrundsatzes bestimmt werden. Indem die Monografie diese Unterschiede reflektiert und den Vertrauensgrundsatz in der arbeitsteiligen Welt als eigenständiges, nämlich sorgfaltspflichtbestimmendes und nicht sorgfaltspflichtbegrenzendes Rechtsinstitut begründet, wird seine Bedeutung in der Fahrlässigkeitsdogmatik für den Bereich arbeitsteiligen Verhaltens auf eine neue Grundlage gestellt. Als Folge der in der Arbeit favorisierten Integration des Vertrauensgrundsatzes in den Sorgfaltsmaßstab decken sich auch seine Voraussetzungen und Begrenzungen bei arbeitsteiligem Verhalten nicht mit denen im Straßenverkehrsrecht.