Literarische Kleinformen im Spiegel mittelniederländischer Sammelhandschriften
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Viac o knihe
«Die wachsende Aufmerksamkeit für die handschriftliche Überlieferung von Literatur, in Verbindung mit einem Interesse für die Entstehungsbedingungen handgeschriebener Bücher, zeitigte überraschend viel historisch-konkrete Fakten.» Wim van Anrooij Mittelalterliche Bücher enthalten in der Regel mehrere Texte. Wer Texte als Kollektion in Sammelhandschriften untersuchen will, sollte daher im Voraus der oftmals phasierten materiellen Entstehungsgeschichte dieser Handschriften Rechnung tragen. Erst dann wird deutlich, welche Texte im historischen Sinn zueinander gehören und als Kollektion betrachtet werden dürfen. Mindestens ebenso wichtig ist jedoch die Frage, ob der Kompilator einzelne Texte aus seinen Vorbildhandschriften kopierte oder ob er Textcluster übernahm. In dieser Abhandlung wird die letztgenannte Möglichkeit anhand einer der bekanntesten Sammelhandschriften aus den Niederlanden, der Handschrift Van Hulthem, veranschaulicht. Diese Handschrift, die über sechshundert Texte verschiedener Art enthält, entstand im frühen 15. Jahrhundert in Brabant, in oder in der Nähe von Brüssel. So findet man beispielsweise vier weltliche Spiele und sechs Sotternien in ihr, die wahrscheinlich aus Regiehandschriften einer fahrenden Schauspieltruppe stammen. In einer Reimpaarredesammlung aus derselben Handschrift treten drei Traditionen (eine deutsche und zwei niederländische) zusammen auf: Freidanck-Sprüche haben sich mit mittelniederländischen Sprüchen aus dem frühen 14. Jahrhundert vermischt und wurden anschliessend mit einer Reihe von Autoritätssprüchen kombiniert.